Die
Idee ist ein Konglomerat aus vielen kleinen Impulsen sowie natürlich
meiner immerwährenden Beschäftigung mit dem Tod an sich. Dennoch
war es eigentlich kein langgehegter Wunsch von mir, den unzähligen
Allegorien des Todes eine weitere hinzuzufügen, sie kam nur durch
die Gelegenheit zur Veröffentlichung zustande.
Die pseudo-mittelalterliche Darstellung mit Kutte und Sense (welche
de facto gar nicht aus dem Mittelalter stammt, sondern sich vermutlich
seit dem Barock entwickelt hat - ich habe dazu eine eigene Theorie) fand ich schon immer am
interessantesten, und letztlich ist die Ikone des Sensenmannes auch die
jedermann im westlichen Kulturkreis geläufige.
Was nun seinen Charakter angeht: Ich persönlich ziehe es vor, ihn
als Zyniker zu sehen, einen etwas überheblichen, sturköpfigen
Nörgler, sehr greifbar, manchmal kindisch, manchmal lächerlich. Der Tod,
den ich hier zeige, ist keine epische, tiefgründige Gestalt. Er erinnert eher an einen etwas zu sehr von sich und der ihm übertragenen Macht eingenommenen Hitzkopf.
Ich habe ein Faible für schwierige Mimiken. Der Tod kann sich lediglich mit der Form seiner Augen (inklusive Augenbrauen), sowie der Kapuze seiner Kutte Ausdruck verschaffen. Laut allererster Enwürfe
hätte er nichtmal die besessen, sondern seine Emotionen NUR mit der
Kapuze ausgedrückt - ich habe mich letztendlich aber zu der großzügigen
Ausarbeitung (mit Augen) entschlossen.
Sein Gesicht wird man nie zu sehen bekommen, weil er in dieser Erscheinung keines hat. Er trägt keine Kutte über seinem eigentlichen Körper, sondern er ist seine Erscheinung. Inklusive Kutte und Kapuze. Da gibt es nichts auszuziehen, dies ist alles er selbst. Eine Schlüsselszene in Teil 2 des Comics unterstreicht dies auch.
Des weiteren hat der Tod auch kein Geschlecht, wie auch die übrigen Allegorien keines besitzen. Wenn ich ihn in meiner Geschichte als männlich tituliere, dann liegt das an der Figur des "Sensenmanns", der so aber auch nicht in allen Kulturen und Sprachen existiert. Im Slawischen sowie in vielen romanischen Sprachen ist der Tod weiblich.
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Mit
dem Mädchen hatte ich lange Probleme. Ich wusste von Anfang
an, wie der Tod zu charakterisieren sei, bei seiner Gegenspielerin hatte
ich jedoch kein bestimmtes Bild vor Augen. Unter vielen, vielen Skizzen tauchte eines
Tages die richtige auf, jene, von der ich wusste, das ist sie.
Das einzige, was von Anbeginn an klar war: Sie sollte keine geschnitzte Schönheit
werden. Ich persönlich empfinde das Mädchen zwar als alles andere
als hässlich, aber das ist mein persönlicher Geschmack.
Sie sollte jedenfalls nicht dem allgemeinen Medienschönheitsideal
entsprechen, also kein dürrer Geh-Faden mit Riesentitten, sondern
ein Durchschnittstyp sein.
Interessanterweise hatte ich mir ihren Charakter ein wenig anders vorgestellt
- nicht so cholerisch (diese Eigenschaft hätte nur der Tod besitzen
sollen), eher süffisant-distanziert. Andererseits wäre dieses
Konzept vermutlich nicht aufgegangen, da den beiden dann die Basis ihrer
Streitereien abhanden gekommen wäre.
Dass man anfangs weder über das Ziel noch den sozialen Hintergrund
des Mädchens etwas wusste, liegt daran, dass ich es erst im
Laufe der Handlung entwickelte. Das Ziel der Reise bzw. diverse andere
Details, die dem Leser erst spät bekannt gemacht werden, fügten
sich erst mit der Zeit ins Konzept.
Ihre Haare sind gefärbt.
Die grünen Augen sind hingegen echt.
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Der
kleine Tod ist keine Erfindung von mir, er ist im deutschen wie
im französischen Sprachraum durchaus gebräuchlich, wobei er
vermutlich aus dem Französischen kommt (la petite mort).
Gemeint ist damit normalerweise der sexuelle Höhepunkt (vulgo Orgasmus).
Es gibt andererseits auch Quellen, die den Schlaf darin sehen (welcher
in der Regel aber als Bruder des Todes bezeichnet wird, deshalb
scheidet diese Deutung hier aus), oder aber jegliche Situation, in welcher
man inwendig einen "kleinen Tod" stirbt, sei es nur aus Angst,
Liebe, Verzweiflung, Entsetzen o.ä.
Gerade letztere Erweiterung des Begriffes finde ich sehr interessant.
Wenn man in sich selbst hineinhört, wird man rückblickend an
diverse Erlebnisse denken, von denen man persönlich behaupten kann,
einen kleinen Tod gestorben zu sein. Und also habe ich auch meinem kleinen Tod (siehe
rechts) ein größeres Aufgabenfeld gegeben, als den bloßen
Endpunkt, der aus der Stimulation errogener Zonen resultiert.
In diesem Sinne ist es weder beim Tod noch beim Mädchen sexuelles Begehren. Es ist eine Art differenzierte Wahrnehmung des anderen,
gepaart mit aufkeimender Sympathie bzw. die schockierende Selbsterkenntnis dieses Umstandes. Aber das gestehen sich beide zu diesem
Zeitpunkt noch nicht ein.
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Die Zeit ist das einzige Mitglied des Schicksalsrates, das sich nicht nur außerhalb des Schicksals bewegt, sondern auch eine nähere Beziehung zum Tod pflegt. Als wohlmeinender Freund und Mentor achtet die Zeit immer wieder mal darauf, dass der Tod nicht allzu viel Unsinn anstellt.
Dass ich die Zeit als männlich gelesen darstelle, soll unterstreichen, dass keine meiner Allegorien ein Geschlecht hat, da sie alle keine realen Körper besitzen. Außerdem ist dies auch ein rein sprachliches Phänomen, in den meisten europäischen Ländern stellt man sich "Zeit" eher als einen Mann fortgeschrittenen Alters vor und ist das grammatische Geschlecht dementsprechend auch maskulin.
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Diese Figur ist die älteste und blickt auf eine eigene mythologische Geschichte meinerseits zurück. Sie entstand vor vielen Jahren in einem Anfall zynischer Verzweiflung angesichts sich überschlagender absurder Ereignisse. Da hob ich die Vermutung an, dass irgendwo im Schicksal ein Sachbearbeiter säße, der sich durch eine ganz besondere Form von fiesem Humor auszeichnete. Er macht sich einen Spaß daraus, die ihm zugewiesenen Menschen permanent an der Nase rumzuführen, ihnen Steine in den Weg zu legen und sie dabei zu beobachten, wie sie durchs Leben straucheln.
Da sich derlei Situationen bei mir regelmäßig wiederholen, kam auch immer wieder der Gedanke an diese Figur hoch. Ich hatte keinen wirklichen Namen für ihn, nannte ihn "Schenkelklopfer", aufgrund seiner Schadenfreude, aber je öfter ich über ihn nachdachte, umso klarere Züge nahm er an. Umso mehr, als ich damit ja nicht alleine war.
So gut wie alle Kulturen weltweit haben in ihrem Pantheon mindestens einen Gott oder Dämon, der gerne Schabernack treibt. Ob es Hermes ist, Loki, Coyote oder Anansi, der Archetyp des "Tricksters" ist omnipräsent.
Die Idee, die Figur in mein Comic einzuarbeiten, kam relativ spät auf, obwohl er älter als alle anderen Figuren ist. Nachdem ich aber schon mal das Schicksal integriert hatte, lag die Idee nicht ferne, auch meinem verhassten Schenkelklopfer eine Rolle zu geben. Hier ist er, was er von Anfang an war: ein Sachbearbeiter im Innendienst. Er ist selbst keiner von den vorhin genannten Göttern, er ist vielmehr der auslösende Faktor dafür, dass die Menschen diese Trickster-Figuren entworfen haben. So wie es bei mir selbst der Fall gewesen war.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich ihm einen offiziellen Namen geben soll, aber die Innendienstmitarbeiter des Schicksals in meinem Comic haben allesamt keine Namen, und irgendwie finde ich es befriedigender, ihn, der die Menschheit so lange getriezt hat, bis sie ihn in ihre Mythen integrierte, namenlos zu lassen.
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